Bericht
Neujahrsempfang mit Franziska Giffey

Posted by on Feb 4, 2022 in Allgemein

Für einen guten Start in ein frauenpolitisch schwungvolles Jahr lud der Landesfrauenrat zum digitalen Neujahrsempfang ein. Begrüßt wurde nicht nur das neue Jahr, sondern auch Berlins neue Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey. Ein Abend, um sich über Wünsche, Pläne und drängende Zukunftsfragen auszutauschen. 

20. Januar 2022 | 18-20 Uhr | Online-Webinar

Die große Anzahl von TeilnehmerInnen zeigte, mit welcher Aufmerksamkeit die Legislatur von Franziska Giffey nicht nur von den Mitgliedsorganisationen des Landesfrauenrats erwartet wird. Über 120 TeilnehmerInnen fanden sich im digitalen Raum ein, um sich mit der Regierenden Bürgermeisterin – aber auch unter sich – über die politischen Zukunftsperspektiven ihrer Arbeit auszutauschen. Die Vorsitzende des Landesfrauenrates Dr. Christine Rabe begrüßte die Runde mit einem virtuellen Glas Sekt und Wünschen fürs Neue Jahr: Man möge zusammen für die Gleichstellung streiten – und das mit Freude!

Die Spannung stieg, als auch die Senatskanzlei zugeschaltet wurde und Dr. Christine Rabe die Regierende Bürgermeisterin nun auch in der Runde begrüßen konnte. Das durch die Verzögerung auf 20 Minuten stark verkürzte Zeitfenster müsse, so Christine Rabe, gut genutzt werden, damit nach einem Grußwort von Franziska Giffey noch Platz zur Diskussion sei. Im Vorfeld des Abends hatte der Landesfrauenrat angeboten, Wünsche zu sammeln und als Vorbereitung zur Diskussion zu clustern. Auch diese Möglichkeit sei auf große Resonanz gestoßen und die Liste der eingereichten Themen sei lang.

Franziska Giffey startete mit einem klaren Signal, Politik im Zeichen der Gleichstellung machen zu wollen. Frauen, die in Verbänden engagiert sind, seien hier wichtige Partnerinnen. Diese Stoßrichtung sei deshalb so unentbehrlich, da nur so das gesamtgesellschaftliche Potenzial entfaltet werden könne. Seit über 100 Jahren könnten Frauen wählen – dieses Recht sei unter schwierigen Bedingung erkämpft worden. Heute seien die Aufgaben anders, es gehe darum, dass Vereinbarkeit von Familie und Beruf und politische Teilhabe gelebte Realität werden müssen. Der Senat sei, so Franziska Giffey, nun von Frauen geprägt – von elf Senatsmitgliedern seien sieben Frauen. Aber nicht nur zahlenmäßig, sondern auch inhaltlich sei der Senat unter ihr als historisch ersten gewählten weiblichen Bürgermeisterin in Sachen Gleichstellungspolitik gut aufgestellt. Dieses Thema sei eine Querschnittsaufgabe, die alle Ressorts angehe und daher immer mitgedacht werden müsse: Bei der Gremienbesetzung, bei der Verteilung des Budgets, bei der Frage nach Repräsentanz von Frauen. Im 100-Tage-Programm ihrer Regierung, so Franziska Giffey, werde dies konkretisiert. Berlin solle eine Vorreiterrolle in der Umsetzung der Istanbul-Konvention einnehmen, dafür brauche es einen weiterentwickelten Landesaktionplan.

Außerdem werde sie sich für ein verfassungsgemäßes Paritätsgesetz engagieren, Gender-Budgeting weiter etablieren und Anlauf- und Koordinierungsstellen für Alleinerziehende unterstützen. Auch die Frauenquote in führenden Positionen der Wirtschaft gelte es zu erhöhen. Es seien viele Themen, die es zu bearbeiten gebe, so Franziska Giffey, und daher freue sie sich auf gute Zusammenarbeit.

Christine Rabe gestaltete anschließend den Übergang in die Diskussion. Bereits im Vorfeld wären sehr viele Wünsche beim Landesfrauenrat eingegangen, die sich den „5 Bs“ der Regierung Giffey zuordnen ließen: Bauen, Bildung, Bürgernähe, Beste Wirtschaft und Berlin in Sicherheit. Diese geclusterten Wünsche würden im Anschluss schriftlich an die Senatskanzlei eingereicht werden, so dass nun noch Zeit für direkte Fragen sei. Die Moderation der kurzen Diskussionsrunde übernahm Dr. Christine Kurmeyer vom Landesfrauenrat. Die nun folgenden Wortmeldungen thematisierten unter anderem die Novellierung des Landesgleichstellungsgesetzes, das Paritätsgesetz, das Prostituiertenschutzgesetz und die intersektionale Perspektive bei der Besetzung von Gremien.

Franziska Giffey antwortete kurz und übergab mit besten Wünschen an ihre Mitarbeiterin und zuständige Referentin Lea Junghans, die sich spontan dazu bereit erklärte, weitere Wortmeldungen aufzunehmen und soweit möglich zu kommentieren. Sie habe jedoch weder ein Mandat, um zu antworten, noch die für sehr spezialisierte Fragen nötigen Kenntnisse. Tatsächlich wurde es in der zweiten Fragerunde sehr konkret: Es folgte ein Appell, eine akut bedrohte Krisenhilfe für Frauen zu unterstützen, um deren Schließung zu verhindern. Eine Vertreterin der landeseigenen Bühnen forderte dazu auf, einen Rechtsschutz für Frauen- und Beschäftigtenvertretungen im Landesgleichstellungsgesetz festzuschreiben. Eine weitere Wortmeldung machte darauf aufmerksam, dass Gender-Budgeting nicht nur für den sozialen, sondern auch auf den wirtschaftlichen Bereich angewendet werden müsse. Auch der Härtefallfond für die in der DDR Geschiedenen wurde angesprochen. Mehrere Wortmeldungen bezogen sich zudem auf die Umsetzung der Istanbul-Konvention, die jedoch nur mit einer finanziellen Unterfütterung möglich sei.

Das Beschließen kostenneutraler Maßnahmen würde nicht ausreichen. Um das Thema Finanzen ging es auch bei dem Hinweis auf den Equal Pay Day am 7.3. und dem Wunsch, Franziska Giffey, solle sich an der Kampagne beteiligen. Wie bei jeder lebendigen Diskussion gab es mehr Fragen als Zeit. 

Christine Kurmeyer schlug daher vor, alle weiteren Fragen und  geschlechterpolitischen Baustellen zu sammeln und die gute Gelegenheit zu nutzen, um sie
gebündelt in die Senatskanzlei mit der Bitte um Antwort weiterzuleiten. Bis zum nächsten Donnerstag hätten Interessierte Zeit, ihre Beiträge an den Landesfrauenrat zu schicken.

Christine Rabe bedankte sich bei Lea Junghans für die gelungene Kooperation und drückte ihre Freude aus, mit der Veranstaltung so viele Frauen angesprochen zu haben. Sie verabschiedete die Runde mit einem Hinweis auf die nächste Veranstaltung zum Thema „Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft und mit einem Schlusswort von Irmtraud Morgner:

„Jetzt oder nie! Die Frauen sind die Hälfte des Volkes! Sie brauchen Räume, die ermöglichen, daß Frauen sich treffen, sich über ihre Lage, ihre Wünsche und ihre Forderungen aussprechen können. Nur so kann sich Solidarität unter Frauen entwickeln, die bewirkt, sicherer und schöner in der Welt zu stehen.“

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Nachtrag:

Im Anschluss an die Veranstaltung gingen viele weitere Wünsche beim Landesfrauenrat ein, die gesammelt, unter den „5 Bs“ zusammengefasst und an die Senatskanzlei mit der Bitte um Rückmeldung übergeben wurden.

Unter „Bauen“ war vor allem der Punkt „bezahlbarer Wohnraum“ präsent und die Wichtigkeit bezahlbaren und zugänglichen Wohnraums für den Schutz von gewaltbetroffenen Frauen und Kindern. Der durch die Pandemie noch verschärfte Zusammenhang von Gewalt an Frauen, Obdachlosigkeit, Krisenhilfe und angespanntem Wohnungsmarkt wurde mehrfach genannt, ebenso wie die Forderung, politische Instrumente zu Regulierung des Wohnungsmarktes anzuwenden und den Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co Enteignen“ umzusetzen.
Neubau alleine könne die Bedarfe nicht decken. Außerdem wurde für eine höhere Frauenquote in Architektur und Stadtplanung plädiert.

Beim Punkt „Bildung“ wurde vor allem der Ruf nach mehr Gleichstellung an den Hochschulen laut. Es brauche konkret mehr Professor*innen, die Verankerung von Gleichstellungen in den Verträgen und eine finanzielle Unterstützung der Gleichstellungsarbeit an den Hochschulen. Zudem brauche es Planungssicherheit durch langfristige Unterstützung von Forschungsprojekten. Auch bei der Digitalisierung dürfe Geschlechtergerechtigkeit nicht vergessen werden.

Dem Punkt „Bürgernähe“ konnten vor allem Themen der Digitalisierung zugeordnet werden. Diese müsse so gedacht werden, dass sie Teilhabe erleichtert statt erschwert. Zugänge zu existentiellen
Unterstützungsangeboten sollten bei der digitalen Transformation daher prioritär behandelt werden. Die Mitarbeiter*innen in der Verwaltung müssten bei der Umgestaltung der Prozesse mitgedacht und gestärkt werden. Es gelte außerdem zu vermeiden, dass Frauen durch strukturelle Benachteiligung beim Thema IT zu Verliererinnen der Digitalisierung werden.

Zum Thema „Beste Wirtschaft“ wurden einige Aspekte zu Vereinbarkeit von Familie und Karriere genannt, etwa der Wunsch nach betrieblichen Kitas – auch im öffentlichen Dienst, die Erleichterung der paritätischen Inanspruchnahme von Elternzeit und die Schließung des Gender Pay Gap.

Unter dem Punkt „Berlin in Sicherheit“ wurde vor allem Gewalt gegen Frauen und Mädchen und die Umsetzung der Istanbul-Konvention genannt. Diese sei zügig mit ausreichend finanziellen Mitteln auszustatten. Hier müsse darauf geachtet werden, dass keine finanzielle Konkurrenzsituation, z.B. von Täter*innenarbeit und Frauenunterstützungsarbeit entstehe. Es brauche einen Ausbau ganz konkreter Hilfen z.b. die Angebote der kassenfinanzierten anzeigenunabhängigen Spurensicherung und Dokumentation nach Übergriffen.

Weitere Themen: Mehrere Einreichungen verwiesen auf die prekäre Lage vieler Frauenhäuser und Kriseneinrichtungen. Hier wurden konkrete Unterstützungen und finanzielle Planungssicherheit gefordert. Außerdem wurden die besonderen Herausforderungen der alternden Gesellschaft und die Lage der „zukünftigen Senior*innen“ angesichts des aktuellen Pflegenotstands thematisiert. Viele Beiträge bezogen sich auch auf die Novellierung des Landesgleichstellungsgesetzes und dessen konkreter Umsetzung. Diskussionswürdig scheint den Beitragenden etwa die Rolle der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragen. Das an Franziska Giffey übergebene Dokument mit den Wünschen aus den Mitgliedsorganisationen schloss mit der Wiederholung des zentralen Wunsches des Landesfrauenrats: „Unser Wunsch ist ein verfassungskonformes Paritätsgesetz. Machen Sie Gleichstellung auf Landesebene zur Chefinnensache!“

Ein Bericht von Elena Gußmann