„100 Jahre Frauenwahlrecht“

100 Jahre Frauenwahlrecht Rede von Dr. Christine Bergmann

Die Frau gehört nicht mehr ins Haus, sie gehört in dieses Haus – den Reichstag,

so hat es bereits 1902 Minna Kauer gefordert in einer Zeit, als Frauen um gleiches Recht auf Bildung, auf Zugang zu Universitäten, um Recht auf Erwerbsarbeit und natürlich um ihr Stimmrecht  kämpften.

Wir feiern dieses historische Ereignis, das ein Meilenstein auf dem Weg zu einer demokratischen Gesellschaft war, wir feiern es heute und wir werden es noch im Januar feiern in Erinnerung an die Wahl zur Nationalversammlung vor 100 Jahren und wir denken an den 19. Februar 1919 als erstmalig eine Frau in einem deutschen Parlament sprach.

Viel zu wenig ist zu hören und zu lesen, wie die Durchsetzung des Frauenwahlrechts möglich wurde. Es werden Zusammenhänge mit dem 1. Weltkrieg hergestellt und es wird die Novemberrevolution als Auslöser für das allgemeine und gleiche Wahlrecht benannt, die Gunst der Stunde wurde genutzt. Dabei wird gern übersehen, dass der Kampf um das Frauenwahlrecht  lang war und eng mit der Entwicklung der Frauenbewegung verbunden.

Es lohnt ein Blick auf die Vorkämpferinnen mit den langen Röcken und großen Hüten, mit den wachen Augen und  klaren Blick, mit der spitzen Feder, mit der mühsamen Lobbyarbeit für die

Verbesserung der Situation der Frauen. Wir sind es ihnen auch schuldig. Es ist ja nicht vom Himmel gefallen, dieses Wahlrecht für Frauen. Ein langer Kampf von Frauen, viele Anläufe waren nötig.

Wir Frauen heute stehen auf den Schultern vieler Vorkämpferinnen für gleiche Rechte für Frauen. Wir sollten uns an sie erinnern, die zu Lebzeiten Spott und auch Verfolgung aushalten mussten, keine Anerkennung bekamen und eben auch bis heute sehr spärlich in den Geschichtsbüchern und in den Ehrengalerien zu finden sind, wo sie eigentlich hingehören. Ich werden einige von ihnen nennen.

Aber bevor ich zu den Vorkämpferinnen des Frauenwahlrechts in Deutschland komme, noch einen Blick weiter zurück – ein Blick auf die Französische Revolution.

Die Frauen unterstützten die Revolution massiv, waren die Hauptträgerinnen der Brotaufstände. Politisch gleichberechtigt waren sie keineswegs.

Die Frau ist frei geboren und bleibt dem Manne gleich in allen Rechten

Als Olympe de Gouges dies 1792 niederschrieb, war das eine im wahrsten Sinne des Wortes lebensgefährliche Forderung. Olympe de Gouges kämpfte während der Französischen Revolution um gleiche Rechte für Frauen und starb 1793 unter der Guillotine, weil sie es in Ihrer  „Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“ 1791 gewagt hatte, die Gleichheit der Geschlechter bei der Gesetzgebung zu fordern und eine  Mitwirkung der Frauen im Parlament,  auch nicht vor Kritik an den männlichen Revolutionären zurück schreckte. Späteren Frauengenerationen wurde sie als abschreckendes Beispiel vorgehalten: Erinnert Euch an diese unverschämte Olympe de Gouges, die ihren Haushalt vernachlässigte, um sich in die Angelegenheiten der Republik einzumischen, so hieß es.

Louise Otto-Peters war es dann, die sich in Deutschland bereits 1848 dafür einsetzte, dass Frauen das Stimmrecht erhalten sollten. Sie gab 1849 die „Frauenzeitung“ heraus unter dem Motto:

Dem Reich der Freiheit werb ich Bürgerinnen.

Sie nannte die „Teilhabe der deutschen Frauen an den Interessen des Staates“ ist nicht „das Recht“ sondern „eine Pflicht der Frauen“. Eine Pflicht!!

Mit der Zeitung war es schnell vorbei. Das Sächsische Presserecht verbot Frauen redaktionelle Aktivitäten, die „Lex Otto“ wurde diese Regelung genannt  Die Zeiten waren hart. Frauen war in einigen Bundesländern des Wilhelminischen Kaiserreiches  die Mitgliedschaft in Vereinen verboten, sogar die Anwesenheit bei politischen Diskussionen und Aktionen wie Versammlungen war nicht zulässig. Dieses frauenverachtende Vereinsrecht änderte sich erst 1908!

Louise Otto Peters  ging es aber auch grundsätzlich um ein anderes Frauenbild und um ein neues Geschlechterverhältnis. Und sie hatte schon sehr früh die Einsicht gewonnen, dass sich Frauen  gemeinschaftlich organisieren sollten.

Mit Auguste Schmidt gründete sie 1865 in Leipzig den Allgemeinen Deutschen Frauenverein. Das wird als Geburtsstunde der organisierten deutschen Frauenbewegung angesehen. Viele Ortsvereine bildeten sich, die sich vor allem um die Bildung von Mädchen und Frauen kümmerten, sahen sie doch zu Recht die mangelnde Bildung als Problem für die Frauenemanzipation.

Ich nenne Hedwig Dohm, vielen auch als Großmutter von Katja Mann bekannt. Sie war ihrer Zeit mit ihren Forderungen nach gleichen Rechten einschließlich des Stimmrechts, die sie in feministischen Streitschriften veröffentlichte, weit voraus. „Der Gedanke geht der Tat voraus!“, schrieb sie – wohl wahr, in diesem Fall sehr weit voraus. Bereits 1873 forderte sie das Stimmrecht für Frauen ein, in einer Zeit als viele Schwestern der Frauenbewegung noch lange nicht den Mut dazu aufbringen. Sie ist uns sehr nahe.

Menschenrechte haben kein Geschlecht

zitiere ich sie – „Frauenrechte sind Menschenrechte“, sagen wir heute, fast 150 Jahre später.

Noch ein Zitat will ich ihnen nicht vorenthalten, das zeigt, welche abenteuerlichen Argumente herhalten mussten, um zu beweisen, dass Frauen für politische Betätigung ungeeignet seien:
„Die Stimmritze der Frau ist enger und ihr Kehlkopf kleiner, belehrt uns Herr von Bischof (Mediziner). Ich würde daraus die Tatsache erklären, dass bei Duetten er Tenor und sie Sopran singt. Der kausale Zusammenhang aber zwischen der Stimmritze und dem Stimmrecht erhellt sich daraus für mich nicht“. Und so weiter. Ich lasse es damit bewenden.

Minna Kauer möchte ich noch nennen, die ich bereits zitiert habe. Sie gehörte zum radikalen Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung. Für ein allgemeines freies Wahlrecht für Frauen und Männer warb sie auch unter den bürgerlichen Frauen, die mehrheitlich zögerlicher waren, das Dreiklassenwahlrecht auch für Frauen forderten. Nicht zu vergessen, dass das Wahlrecht zu dieser Zeit auch für Männer kein allgemeines gleiches war, das Dreiklassen-Wahlrecht gestand auch nicht allen Männern das Wahlrecht zu. Minna Kauer war der Meinung, dass  das 20. Jahrhundert  das Jahrhundert der Frauenemanzipation werden würde. Wie weit haben wir das realisiert?

Ich erinnere an den Zukunftsforscher Matthias Horx, der das 21. Jahrhundert das „Zeitalter der Frauen“  nannte. Wir wollen doch alles dafür tun, dass er Recht behält. Aber wir denken nicht mehr in Einhundertjahr-Schritten.

1902 kam es dann in Hamburg zur Gründung des Deutschen Vereins  für Frauenstimmrecht und der Dachverband der bürgerlichen Frauenbewegung nahm den Kampf um das Frauenstimmrecht in sein Programm auf. Damit war auch die Mitgliedschaft im Weltverband für Frauen-Stimmrecht, der 1904 in Berlin gegründet wurde, möglich.

1908 war ein wichtiges Jahr für die Frauenbewegung. Mit dem Reichsvereinsgesetz durften Frauen endlich Mitglieder in politischen Vereinen und Parteien werden.

Aber es begannen auch die Auseinandersetzungen zwischen den bürgerlichen und den sozialistischen Frauen um die Form des Wahlrechts. Solle das Dreiklassenwahlrechts beibehalten werden und  dann auch für Frauen gelten, wie die Mehrheit der bürgerlichen Frauen anstrebten oder sollten die Forderungen weiter gehen für ein allgemeines gleiches geheimes und direktes Wahlrecht für alle. Das  forderten die proletarischen Frauen. Eine 3. Gruppierung blieb im Vagen. Hoch umstritten auch unter den Frauen waren die britischen Suffragetten.
Es wundert uns nicht, dass es eine starke antifeministische Gegenbewegung gab. Die Herren aus der nationalistischen und völkischen Bewegung sahen die ganze Gesellschaft in Gefahr durch die Ansprüche der Frauen. Kommt uns doch heute noch bekannt vor – diese Argumentation.
Die Sozialdemokratie war die einzige Partei, die das  Allgemeine gleiche Wahlrecht für alle bereits 1891 in ihr Programm aufgenommen hat.

1895 brachte die SPD unter August Bebel einen entsprechenden Gesetzesentwurf in den deutschen Reichstag ein. Er forderte: Allgemeines, gleiches, direktes Wahl- und Stimmrecht. aller über 20 Jahre alten Reichsangehörigen ohne Unterschied des Geschlechts.“ Die Männer aller Parteien außer der SPD lehnten den Antrag unter Gelächter ab.

Die Sozialistinnen, und hier ist vor allem Clara Zetkin zu nennen, setzten auf internationale Aktionen, um ihre Ziele zu erreichen. Auf der 2. internationalen Frauenkonferenz wurde der  Frauentag als Kampftag für das Frauenwahlrecht beschlossen. Und 1911 gingen dann mehr als 1 Million Frauen in Deutschland und anderen Ländern unter dem Kampfruf

Heraus mit dem Frauenwahlrecht

auf die Straße, darunter auch Vertreterinnen des radikalen Flügels der bürgerlichen Frauenbewegung.

Mit dem Ausbruch des ersten Weltkrieges endeten zunächst die Aktionen.

1917 kam es endlich zu einem breiten Frauenbündnis im Kampf um das Frauenwahlrecht mit Demonstrationen, Versammlungen, Veröffentlichungen.

Noch im Mai 1918 wurde im Preußischen Abgeordnetenhaus das gleiche Wahlrecht für alle preußischen Bürger und Bürgerinnen von den konservativen Abgeordneten abgelehnt.

Der Druck der Frauen nahm zu und am 12. November 1918 erklärte der Rat der Volksbeauftragten, „ dass alle Wahlen zu öffentlichen Körperschaften…nach dem gleichen, geheimen, direkten Wahlrecht für alle mindestens 20 Jahre alten männlichen und weiblichen Personen zu vollziehen sind.“.

Dem folgte rasch die Angst der Konservativen vor den möglichen Folgen, vor den Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten. Es gab 2 Millionen mehr weibliche Wahlberechtigte nach dem Krieg. Versuche, Frauen zu beeinflussen „richtig“ zu wählen, blieben nicht aus.

Es war ein riesiger Schritt zur Demokratisierung der Gesellschaft als  den Frauen endlich das aktive und passive Wahlrecht zugestanden wurde. Die ersten waren wir in Deutschland beileibe nicht 1893 wurde in Neuseeland das Frauenwahlrecht eingeführt, 1906 in Finnland, 1907 in Norwegen das passive Wahlrecht – das allgemeine dann 1913. Um nur einige Beispiele zu nennen.

Wir wissen auch, dass andere europäische Länder beträchtlich länger brauchten. 1971 war es erst in der Schweiz so weit.

Und die Frauen machten von ihrem mühsam errungenen Recht Gebrauch. Über 82% der wahlberechtigten Frauen gaben am 19. Januar 1919 bei der Wahl zur Deutschen Nationalversammlung ihre Stimme ab. 82%. Getoppt wird diese Wahlbeteiligung nur von den Wahlen zur Volkskammer 1990. Es waren 90% die am 18.März 1990 ihre Stimme abgaben. Es waren meine ersten freien Wahlen – welch ein Glück! Und ich kenne das Gefühl, wie es ist, endlich wählen zu können und endlich frei wählen zu können.

Ich zitiere Marie Juchacz, die am 19. Februar 1919 als 1. Frau vor einem demokratisch gewählten Parlament sprach. Das Protokoll vermerkte, dass die Anrede „Meine Herren und Damen“ Heiterkeit auslöste. Und sie sagte: „Ich möchte hier feststellen, und glaube, damit im Einverständnis vieler zu sprechen, dass wir deutschen Frauen dieser Regierung nicht etwa in dem althergebrachten Sinne Dank schuldig sind. Was diese Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit: sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist.“ Und sie forderte gleich: Frauen in alle Ämter in den Verwaltungen und ihre Beteiligung an Wirtschaftsprozessen.

Mit der Selbstverständlichkeit war es dann ziemlich schnell vorbei, im Nationalsozialismus wurde den Frauen das passive Wahlrecht wieder genommen und bis diese Selbstverständlichkeit, den Frauen zu geben, was ihnen bisher vorenthalten wurde,  in die Verfassung Aufnahme fand, dauerte es 30 Jahre. Erst 1949 wurde mit dem Art. 3, Abs.2 „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ das Gebot in der Verfassung festgeschrieben. Und auch das gelang erst nach einer breiten Mobilisierung von Frauen aller Parteien und der Gesellschaft. Und ich erinnere, die Ergänzung dieses Artikels um die Verpflichtung des Staates aktiv auf die Beseitigung der Diskriminierung hinzuwirken, die 1994 erfolgte , war wiederum nur mit einem breiten Frauenbündnis möglich. Damit war jedoch, wie wir alle wissen, die Gleichstellung der Geschlechter nicht automatisch erreicht. Minna Kauer, die bereits zitierte, mahnte schon Ende des 19. Jahrhunderts die Frauen, „nicht auszuruhen, denn es ist noch nicht vollendet, was wir begonnen.“

Sie selbst hat die Einführung des Allgemeinen freien, direkten Wahlrechts nicht mehr erlebt. Aber ihr und den anderen Kämpferinnen für das Frauenwahlrecht ging es ja auch um grundlegende  Rechtsfragen. Das 1900 in Kraft getretene Bürgerliche Gesetzbuch schrieb das  Entscheidungsrecht des Ehemannes in Ehe und Familie fest. Der Ehemann entschied z.B., ob seine Frau ein Arbeitsverhältnis eingehen konnte. Das hat sich lange gehalten wie wir wissen. In mühsamen kleinen Schritten ging es voran bis zur Reform des Ehe- und Familienrechts 1977.

An dieser Stelle wieder mein notwendiger Hinweis, dass die Entwicklung in Ostdeutschland eine andere war. Mit der Verfassung von 1949 wurde die Gleichberechtigung formal festgeschrieben.

Zurück zur Nationalversammlung 1919. 37 Frauen schaffen es, ein Mandat zu erringen, das waren 9% der Abgeordneten.

Und wie sieht es heute aus?  

Der Frauenanteil im Bundestag beträgt 100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts ganze  30,7%, das ist der niedrigste Anteil seit 10 Jahren und ganz klar ein Rückgang in Bezug auf die Teilhabe der Frauen. In der letzten Wahlperiode waren es noch 36,5%. Wenn wir uns die einzelnen Parteien ansehen und wir müssen schon adressieren, wo die Defizite liegen: Den geringsten Frauenanteil finden wir in der AFD-Fraktion mit ca. 11%, gefolgt von der FDP mit 21% und CDU/CSU 20%, SPD 42% und Linkspartei und Grüne über 50%. Diesen Trend finden wir auch bei den Landtagswahlen. Auf der kommunalen Ebene sieht es noch schlechter aus.

Schauen wir uns die letzten beiden Landtagswahlen. In Bayern zeigt sich folgendes Bild: 26,8% Frauen im Landtag (im Vergleich: knapp 30% bei der letzten Wahl). Wir finden eine Frau unter 11 Liberalen, 2 Frauen unter 22 AFD-Abgeordneten, bei CSU und Freien Wählern haben Frauen  ein Fünftel der Mandate, allein Grüne und SPD haben ein ausgewogenes Verhältnis. In Hessen haben Frauen ein bisschen zugelegt: 33,6% Frauen sitzen im Landtag gegenüber 31,8% bei der letzten Wahl. Auf die Parteien verteilt zeigt sich: Schlusslicht  ist die AFD mit 10%, dann folgen FDP mit 18%, CDU mit 22,5%, SPD mit 45%, Grüne mit 52%, Linkspartei mit 56%. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die AFD deutlich mehr von Männern als von Frauen gewählt wurde. 16,3 % der Männer gegenüber 9,2 % der Frauen wählten bei der letzten Bundestagswahl die AFD im Bundesdurchschnitt, in Ostdeutschland ist das Verhältnis 26% Männer gegenüber 17% Frauen.

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Nur dort, wo Parteien eine verbindliche Quote festgelegt haben, finden wir Frauen angemessen in den Parlamenten und Regierungen.

Das ist keine Überraschung. Wollen wir darauf warten, dass die Einsicht in den Parteien wächst, dass sie ihr  Defizit in der Umsetzung des Verfassungsgrundsatzes der Gleichberechtigung beheben müssen. Statt den Zustand zu beklagen, wäre es an der Zeit, sich ernstlich mit einem Paritätsgesetz auseinanderzusetzen, wie es die Frauenministerinnenkonferenz vorschlägt, auch die Berliner Erklärung der Frauenverbände. Es schreibt eine  Abwechslung von Männern und Frauen auf der Wahlliste vor, 10 europäische Länder haben bereits eine solche Regelung. In Frankreich beträgt der Frauenanteil in den Parlamenten über 40%. Der Widerstand ist wie zu erwarten, erheblich.

Verfassungswidrigkeit wird ins Feld geführt. Ein sanfter Hinweis darauf, dass die Gleichstellung der Geschlechter ein Verfassungsauftrag ist, sei erlaubt.

Und es geht nicht nur um die Teilhabe in der Politik.  Auch wenn uns alle die Diskussion um Gleichstellungsgesetze und Quoten reichlich nervt. Die immer gleichen, hundertfach widerlegten  Gegenargumente anhören zu müssen wie „auf freiwilliger Basis geht das viel besser“ wie ernstlich z.B. von der Wirtschaft behauptet wird, ist schon eine Zumutung.  Das Beispiel der Privatwirtschaft zeigt doch, dass freiwillig nichts passiert ist.  Jetzt gibt es ein Gesetz  das eine  30%-Quote für Aufsichtsräte in börsennotierten mitbestimmungspflichtigen Unternehmen festgelegt hat.  Ein Schritt einer gesetzlichen Quote, ist immerhin getan. Und siehe da, jetzt sind die Frauen da!

Ja, aber es ist immer ein Risiko, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Wie sieht es denn dort aus, wo ein Gleichstellungsgesetz verbindliche Regeln zur gerechten Teilhabe von Frauen und Männern vorgibt? Da haben sich vor einigen Wochen, angeregt durch das Bild der Männerriege in der CSU, Journalisten und Journalistinnen der „Zei“ aufgemacht und mal akribisch recherchiert, wie es in den Bundesverwaltungen mit den Frauen in Führungspositionen aussieht. Es gibt natürlich den Verfassungsauftrag zur Gleichstellung und es gibt ein Bundesgleichstellungsgesetz. Ich habe  in meiner Amtszeit die Verabschiedung erkämpft und dazu die Regelung in der Geschäftsordnung der Bundesregierung, dass Gleichstellung als durchgängiges Leitprinzip in allen Dienststellen der Bundesregierung gilt. Da müsste sich doch in 17 Jahren einiges getan haben.

Das Ergebnis ist nicht nur ernüchternd es ist geradezu erschütternd. Dieses Gesetz wurde schlichtweg ignoriert.

Obwohl in den meisten Verwaltungen die Mehrzahl der Beschäftigten weiblich ist, finden wir sie auf der Ebene der Abteilung- und Unterabteilungsleitungen sehr wenig und schon gar nicht bei den beamteten Staatssekretären. Das krasseste Beispiel ist die oberste Leitungsebene – die beamteten Staatssekretäre – die männliche Form ist hier angebracht. Die Journalisten und Journalistinnen haben herausgefunden, dass in der Geschichte der Bundesrepublik 692 Staatssekretäre ernannt wurden, nur 24 mal wurde eine Frau ausgewählt. Zieht man die Mehrfachnominierungen ab, dann gab es seit 1949 nur 19 beamtete Staatssekretärinnen. In der gleichen Zeit wurden 24 Männer Staatssekretäre, die den Vornamen Hans trugen. Es gab also in 69 Jahren Bundesrepublik mehr Männer namens Hans in dieser wichtigen Funktion als Frauen. Und das Hans-Prinzip wird konsequent fortgesetzt, 5 beamtete Staatssekretäre hat der Bundesinnenminister, darunter keine Frau und konsequent besetzte er auch die 3 Positionen der parlamentarischen Staatssekretäre mit Männern.

Das ist der Bundesinnenminister, der soeben die Einführung des Frauenwahlrechts einen „Meilenstein der Demokratiegeschichte“ genannt hat. Dass die Nichtbeteiligung von Frauen ein Demokratiedefizit ist, wer erklärt es ihm mal.

Ich will sie nicht lange mit dieser Recherche quälen. Es gibt 3 Ministerien, die Gleichstellung

 

der Geschlechter ernst nehmen das ist das BMFSFJ mit 70%, Justiz- und Arbeitsministerium mit je 40%.

Geht also. Problematisch an dieser Untersuchung finde ich auch, dass Frauen in Leitungspositionen nicht ohne weiteres bereit sind, über ihre Schwierigkeiten, dahin zu kommen sprechen. Nachteile befürchten.

Die Konsequenz aus dieser Recherche kann nur sein, Sanktionen in Gleichstellungsgesetze einzubauen.

Eins ist doch klar: die Zeiten, in denen wir Frauen permanent mit Statistiken nachweisen mussten, dass Frauen nicht weniger kompetent, häufig sogar besser ausgebildet, schlichtweg durchaus geeignet sind, Führungspositionen zu übernehmen, die sind vorbei.

 

Wir erleben gerade, dass die Entwicklung  schnell rückläufig sein kann, wenn die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen nicht verbindlich geregelt ist.Gleichstellung ist ein Verfassungsauftrag. Der Staat hat den Auftrag zur tatsächlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung und die Beseitigung bestehender Nachteile. Es geht nicht um freundliche Gesten von Parteien und Institutionen. Ich verweise auf die eingangs zitierte selbstbewusste Marie Juchacz. Wir wissen doch, wo Nachteile sind, die beseitigt werden sollen.

Ich nenne nur als Stichwort „Lohngleichheit“, auch so ein Dauerbrenner, fehle in keiner Frauenrede. Sie kennen die Zahlen – 21% geringer ist der Bruttostundenlohn für Frauen im Vergleich zu Männern. Dafür sind strukturelle Faktoren verantwortlich wie schlechte Bewertung von Frauenberufen, der höhere Anteil von Frauen unten auf der Karriereleiter wegen Teilzeit, Erwerbsunterbrechungen. Darin können auch schon diskriminierende Elemente kann auch schon diskriminierende Elemente enthalten sein. Der bereinigter gender pay gap, der bei gleicher Qualifikation  und Tätigkeit die Bruttostundenlöhne vergleicht, liegt bei 6%, das ist eindeutig Diskriminierung. Ein erster Schritt zur Transparenz ist das Entgelttransparenzgesetz, das Frauen die Möglichkeit gibt, in Unternehmen mit mehr als 200 MitarbeiterInnen zu erfahren, wie eine Vergleichsgruppe vergütet wird. Dem gender pay gap folgt logischerweise der  gender pension gap. Die Lücke liegt für das Jahr 2015 unter Berücksichtigung von gesetzlicher Rente, Betriebsrente und privater Altersvorsorge bei 53% (58% beträgt er im Westen, 28% im Osten). Im letzten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung wird auch der gender care gap aufgeführt, also die Lücke bei der Sorgearbeit. 52% leisten Frauen mehr an dieser Arbeit.  Wenn wir  über Lohngleichheit reden und darüber, wie sie zu erreichen ist, möchte ich vor
allem einen Punkt nennen, das ist die massive Unterbewertung der traditionellen Frauenberufe in der Sorge am Menschen, in der Erziehung. Hier ist dringend Abhilfe zu schaffen. Im Bereich der Erwerbsarbeit gibt es große Unterschiede zwischen den Frauen in Ost und West. Man muss sich diese Zahlen immer mühsam aus den Statistiken heraussuchen, weil meist nur zusammengefasste Zahlen veröffentlicht werden. Nach wie vor ist die Erwerbsquote der Frauen im Osten höher als im Westen und findet Vollzeiterwerbsarbeit von Müttern eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz. Das ist ein weites Feld, das ich hier nicht weiter ausführen kann.

Die Geschlechterverhältnisse befinden sich im Wandel. Das ruft heftige Gegenwehr hervor. Auf der politischen Bühne agiert ein Donald Trump in einer frauenverachtenden Weise, wie wir es nicht mehr für möglich gehalten hätten. In Russland wird häusliche Gewalt bei der 1. Anzeige nur noch als Ordnungswidrigkeit geahndet. In Polen ist Abtreibung nur noch bei Vergewaltigung zulässig. Und im deutschen Bundestag ist jetzt mit der AfD eine rechtspopulistische Partei, die offen antifeministische Meinungen vertritt. In Landtagen ebenso.
Unter dem Schlagwort „gender-wahn“ oder „gender-ideologie“ wird ein Haufen Unsinn verbreitet (Umerziehung der Gesellschaft, Geschlechteridentitäten  werden nivelliert, Frauen zur Vollzeiterwerbsarbeit gedrängt usw.)um  den Begriff und die Sache negativ zu besetzen und so gegen Gleichstellungspolitik Stimmung zu machen. Es gibt sie, die Anträge in Landtagen, die z.B. die Abschaffung von Gleichstellungsgesetzen und Gleichstellungsbeauftragten fordern. Die Rechtspopulisten in Europa sind sich da sehr einig. Gerade hat Orban in Ungarn verfügt, dass Gender Studies an den Universitäten nicht mehr gefördert werden. Dieser Antifeminismus ist eng mit Homophobie verbunden. Wir sollten genau hinsehen, was sich hier tut.

Frauen sind selbstbewusster geworden. Sie fordern Anerkennung ihrer Leistungen und sie fordern Respekt. Das wird deutlich sichtbar an der #metoo-Debatte und deren Auswirkungen. Sie fällt in eine Zeit, in der es wieder auffällt, dass Gleichberechtigung längst nicht erreicht ist und dass es sogar wieder salonfähig wird, ihre Notwendigkeit infrage zu stellen #Metoo wurde sehr schnell in Deutschland in den sozialen Netzen diskutiert. „Ja, wir auch“. Frauen berichten über ihre Erfahrungen mit Alltagssexismus, sexueller Belästigung, sexueller Gewalt. Fast jede 2. Frau gibt an, schon einmal sexuell belästigt zu sein. Es ist also kein Hollywood-Problem.
Es hat offensichtlich erst eines Skandals wie die massiven gegen Weinstein erhobenen Vorwürfe bedurft, um diese breite Debatte in allen Medien und im Internet hervorzurufen, die noch anhält. Der Skandal ist  die Ausnutzung von Macht- und Abhängigkeitsverhältnissen. Der Skandal ist aber auch das Ignorieren, Nichthandeln des Umfeldes der Betroffenen. Mit ihrem Sprechen ermutigen sie andere, tragen sie zur Sensibilisierung der Gesellschaft bei. Sexualisierte Gewalt, sexuelle Belästigung ist kein Phänomen einer bestimmten Branche. Wir haben überall in der Gesellschaft damit zu tun. Es ist etwas Alltägliches. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen und nach Lösungen suchen.

Ja, wir müssen aufpassen, dass der Zug nicht rückwärtsfährt und mühsam errungenes Terrain nicht verloren geht.

Ja, wir wissen, dass uns auf dem Weg zu einer geschlechtergerechten Gesellschaft nicht geschenkt wird. Das kann uns nicht erschüttern. Wir leben in einer  Zeit, wo plötzlich wieder Frauenrechte infrage gestellt werden. Das sollte uns mobilisieren. Wir haben gerade bei den Ergebnissen der Wahlen in den USA erlebt, wie Frauen Erfolge erzielen können, tolle Frauen, die nicht in einem Klima von Hass und Ausgrenzung  leben wollen. Sie haben ihr Wahlrecht genutzt, das aktive und das passive. Und sie werden die gewonnenen politischen Möglichkeiten nutzen, davon bin ich überzeugt.
Ich zitiere zum Schluss noch einmal Louise Otto Peters.

Die Geschichte aller Zeiten und die heutige ganz besonders lehrt, dass diejenigen, welche selbst an ihre Rechte zu denken vergessen, auch vergessen werden.

Das wollen wir uns doch nicht nachsagen lassen. Leichter geht es, wenn wir uns dabei aufeinander verlassen können. Und mehr Spaß macht es auch.

In diesem Sinne einen schönen Abend.