Wenn Frauen ihren Träumen folgen – eine Hommage an die Berlinerin Melli Beese, die erste deutsche Pilotin-2017

Posted by on Mrz 28, 2017 in Allgemein

Ein Artikel von Jessica D’Agata


„Fliegen. Ich wollte fliegen lernen. Das war aber auch alles, von dem ich wusste, dass ich es wollte“.

Ihr Blick: wild entschlossen. Ihre Hände: fest am Lenkrad. Amelie (Melli) Hedwig Beese setzte alles daran, um ihren Traum vom Fliegen zu verwirklichen. Dabei war das alles andere als leicht: Wie viele anderen Frauen, die ein leidenschaftliches Interesse verfolgen wollten, anstatt den für sie vorbestimmten Weg einzuschlagen, war sie zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Frau in einer Männerdomäne mit allerlei Widerständen konfrontiert.

Melli Beese träumte schon als Kind davon, eines Tages Pilotin zu werden. Sie lehnte es bereits im frühen Alter ab, sich den vermeintlich weiblichen und überaus irdischen Pflichten (Haushalt führen, Kinder kriegen und betreuen, Mann versorgen…) zu widmen. Sie wollte fliegen. Doch der Weg hin zur Pilotin war für sie von Anfang an verbarrikadiert, denn Hochschulen und Universitäten in Deutschland waren zu ihren Zeiten in Männerhand und Frauen war der Zugang zu höherer Bildung untersagt. Daher ging sie zunächst andere Wege und studierte im Ausland. Während ihres Studiums der Bildhauerei 1909 an der Königlichen Akademie der freien Künste Stockholm konnte sie ihr ausgeprägtes Interesse für die faszinierende Welt der Luft- und Raumfahrt weiterverfolgen. Kurz darauf begann sie in Dresden Lesungen zu Mathematik, Schiffbau und Flugtechnik und -mechanik als Externe zu hören. Als sie versuchte, bei den Albatros-Flugzeugwerken in Johannesthal (Berlin) als Schülerin anzufangen, um sich ganz der Fliegerei zuzuwenden, wurde sie trotz ihrer vielseitigen Begabung abgelehnt und wanderte in die Schweiz aus, wo die Ad-Astra-Fluggesellschaft sie schließlich nach mehreren Abweisungen zur Pilotin ausbildete. Von den hohen Ausbildungskosten ließ sie sich nicht entmutigen. Sie war fest entschlossen, ihre Flugprüfung abzulegen, doch das ging nicht ohne Hindernisse. Ihre neidischen und ehrgeizigen männlichen Kollegen konnten es nicht ertragen, dass eine Frau mit ihnen gleichziehen oder sie sogar überflügeln könnte und versuchten deshalb, sie an der aktiven Fliegerei zu hindern. Nicht nur, indem sie ihr Flugstunden verweigerten und die schlechteren Flugzeuge zuteilten, sondern sogar mit hochriskanten Sabotageakten an ihrer Maschine. So tauschten sie heimlich vor Examensflügen intakte Zündkerzen gegen verrußte aus und ließen Benzin aus ihrem Tank, sodass Melli Beese bei einer Prüfung sogar zur Notlandung gezwungen wurde. Doch nicht einmal die langen Kämpfe und die vielen Rückschläge brachten sie davon ab, um ihren Pilotenschein zu kämpfen, den sie im Jahre 1911 auch erwarb. Ihre Flugbegeisterung machte sie zur ersten Berlinerin mit Fluglizenz, die 1912 ihre eigene Flugschule (die „Flugschule Melli Beese GmbH“) gründete. Durch den neuen Höhenweltrekord, den sie 1912 bei den Johannisthaler Herbstflugwochen aufstellte, trug sie noch ein Stück mehr dazu bei, die damaligen bekannten Vorbehalten Frauen gegenüber zu beseitigen.

Nach dem Beginn des ersten Weltkriegs 1914 neigte sich die spektakuläre Flugkarriere der leidenschaftlichen Pilotin dem Ende zu. Nachdem sie nach der Hochzeit mit Charles Boutard die französische Staatsbürgerschaft annahm, galt sie in Deutschland als Staatsfeindin, weswegen sie prompt Flugverbot erhielt und von der Fliegerei ausgeschlossen wurde. Nach Kriegsende stand das Ehepaar am Rande des finanziellen Ruins. Doch noch gab die tollkühne Pilotin nicht auf. Bei dem Versuch, ihre Fluglizenz erneut zu erwerben, um mit ihrem Ehemann in zwei Flugzeugen um die Welt zu fliegen, stürzte sie während eines Übungsfluges ab. Die Bruchlandung überstand sie unverletzt, doch das Projekt der Weltumrundung im Flugzeug war aufgrund fehlender Finanzierungsmöglichkeiten zum Scheitern verurteilt. Der soziale Absturz nach dem Bruch ihrer Ehe und das Ende ihrer Fliegerkarriere wegen mangelnder Gelder bedeuteten die endgültige Zerstörung ihrer Lebensträume, die sie im Alter von 39 Jahren in den Selbstmord trieb: „Fliegen ist notwendig. Leben nicht“.

Inwiefern ist die Geschichte von Melli Beese für die heutige feministische Bewegung relevant?

Wie zahlreiche weitere Frauen, die versucht haben, die Welt zu verändern, musste sich die beflügelte Heldin durchboxen, um die Steine, die ihr in den Weg gestellt wurden, aus dem Weg zu räumen und den Himmel zu erobern. Ihr Versuch, in die männerdominierte Welt des Fliegens einzubrechen, die von irrtümlicherweise als männlich eingestuften Charakteristika wie Mut, Stärke und Tapferkeit gekennzeichnet war, stellte einen Treffer gegen die damalige vorherrschende patriarchale Moral dar, die die Frau nicht im Cockpit, sondern lieber am heimischen Herd wollte. In einer Zeit, in der für Frauen schon das Hosetragen als anstößig galt, wurde ihr beharrlicher Versuch, Richtung Himmel aufzubrechen, zum revolutionären Akt.

Diese von Fliegen begeisterte Pionierin hat dazu beigetragen, eine neue Facette in das kaleidoskopische Bild der noch allzu wenig erforschten Luftfahrtgeschichte einzufügen. Als hochmotivierte, gut ausgebildete und erfolgreiche Frau hat Melli Beese nicht nur die physikalischen und mechanischen Gesetze herausgefordert, sondern sich auch trotz der allgemein gültigen frauenfeindlichen gesellschaftlichen Normen durchgesetzt und die konservative Geschlechterordnung des historischen Kontexts des XX. Jahrhunderts auf den Kopf gestellt.

Aufgrund ihrer Begeisterung, ihrer Beharrlichkeit und ihrer unbedingten Willensstärke taugt Melli Beese heute noch als Vorbild für die feministische Bewegung. Während die Protagonistinnen der ersten Frauenbewegung gegen Unterdrückung im Haus, im Erwerbsleben und an den Wahlurnen auf den Straßen protestierten, kämpfte sie um das Recht, die himmlische Sphäre mit den Männern zu teilen. Diese legendäre Heldin war fest entschlossen, sich die beengende, bedrückende und beschränkende irdische Existenz hinter sich zu lassen und setzte durch ihren symbolischen und faktischen Einbruch in den Männerhimmel ein konkretes Zeichen im Namen der individuellen Freiheit und weiblichen Selbstbestimmung.